Resilienz: „Wie Superman und Kryptonit“

Welches Rüstzeug brauchen wir, um langfristig psychisch gesund zu bleiben? René Träder hat Antworten.


Herr Träder, Sie haben ein Buch über Resilienz geschrieben. Was ist denn Resilienz?

Resi­lienz ist die psychi­sche Wider­stand­kraft, das Immun­system unserer Psyche. Das psychi­sche Immun­system wird ange­griffen von Alltags­stress, von länger­fris­tigen Krisen und von funda­men­talen Schick­sals­schlägen. Aber es gibt auch Schutz­fak­toren, und die Resi­lienz ist eben die Kraft, damit umzu­gehen. Wir können sie erlernen und gestärkt durch das Leben gehen.

Ist sie jedem mitgegeben?

Viele Menschen verwech­seln das. Sie fragen: Habe ich Resi­lienz, oder habe ich keine? Aber man fragt ja auch nicht: „Habe ich eine Körper­größe oder nicht?“, Wir können uns das eher als eine Dimen­sion vorstellen und lieber fragen: „Wie viel Resi­lienz habe ich schon und in welchen Berei­chen könnte ich meine psychi­sche Wider­stands­kraft noch stärken?“ Man kann also schauen: Wie viel Resi­lienz habe ich denn? Viel­leicht ist meine Resi­lienz im privaten Kontext ganz anders als im beruf­li­chen Kontext, was zum Beispiel daran liegt, welche Erfah­rungen ich bisher gemacht habe und in welcher Situa­tion ich bin. Ist mein Netz­werk stark, habe ich Menschen, die mich stützen?

„Es lohnt sich, eine Art Krisen­kom­pe­tenz zu entwi­ckeln, denn dann verfällt man bei der nächsten Krise nicht in Panik.“

Es lohnt sich, die eigene Resi­lienz besser zu verstehen und eine Art Krisen­kom­pe­tenz zu entwi­ckeln, denn dann verfällt man bei der nächsten Krise nicht in Panik, sondern weiß, dass man es schon mal hinbe­kommen hat. Um aber noch auf Ihre eigent­liche Frage zu antworten: Es gibt drei Quellen von Resi­lienz. Einer­seits unsere gene­ti­sche Grund­aus­stat­tung, dann das Umfeld, in dem wir leben, was insbe­son­dere für unsere frühkindlichen Erfah­rungen gilt, und schließ­lich die bewusste Ausein­ander mit uns und unseren Heraus­for­de­rungen als Erwach­sene. Den meisten Einfluss haben wir natürlich auf den letzten Aspekt. Wir sollten diesen Einfluss nutzen und dem Schicksal nicht die vollen 100 Prozent überlassen. Es ist ja schließ­lich UNSER Leben.

Wie finde ich heraus, wie resilient ich bin?

Das ist nicht ganz einfach zu sagen, da es viele unter­schied­liche Dinge gibt, die uns belasten. Wenn ich meinen Job verliere, hat das eine ganz andere Qualität, als wenn ich im Stau stehe und einen wich­tigen Termin habe. Aber man kann sich beob­achten, wie schnell man sich selbst nega­tive Geschichten erzählt und in Panik verfällt und sich ärgert. Das sind erste Warn­si­gnale. Wer schon bei Klei­nig­keiten panisch ist, wird auch bei einer größeren Krise erst einmal hilflos sein. Man kann dann ganz gut sehen, wie lange man in der Passi­vität verharrt, bevor man ins Handeln kommt. Was resi­li­ente Menschen auszeichnet, ist, dass sie eben nicht so lange hadern, sondern relativ schnell aktiv werden, um etwas zu verändern.

Man sollte Körper und Geist als Einheit betrachten, sagt Psycho­loge und Jour­na­list René Träder.

Wie komme ich aus der Opferrolle heraus und ins Handeln?

Die Opfer­hal­tung ist das, was für Superman das Kryp­tonit ist. Es schwächt ihn unge­mein. Alles, was er drauf hat, kann er in dieser Situa­tion nicht abrufen. Über­tragen auf uns bedeutet das, dass die anderen jetzt mal handeln müssten, damit unser Welt­bild wieder in Ordnung ist. Dadurch sehen wir aber nicht den Raum der Möglich­keiten und auch nicht unsere Kraft, sondern nehmen uns als sehr schwach wahr. Das ist für einen Moment auch mal in Ordnung, aber dann sollte man sich fragen, was der eigene Anteil an der Situa­tion ist. Der erste Schritt ist immer, Verant­wor­tung zu übernehmen: Es ist mein Leben, ich entscheide. Man wird überrascht sein, welche Möglich­keiten sich auftun, wenn man neu auf die Situa­tion schaut und anfängt, in Lösungen, statt in Problemen zu denken.

„Wir brau­chen vertrau­ens­volle, stär­kende Netz­werke – auch im Beruf. Und das möglichst hierarchiefrei.“

Wie kann man denn im beruflichen Alltag, gerade in kleinen festen Teams, aus negativem Verhalten ausbrechen?

Das Zauber­wort ist Kommu­ni­ka­tion. Die braucht es immer, nicht nur, wenn Fehler aufge­treten sind. In dieser Kommu­ni­ka­tion muss ein Bezie­hungs­aufbau unter­ein­ander möglich sein. Wir brau­chen vertrau­ens­volle, stär­kende Netz­werke – auch im Beruf. Und das möglichst hier­ar­chie­frei. Es hat nicht der mehr Recht, der beson­ders lange im Betrieb ist. Das Resi­lienz-Konzept lässt sich übrigens auch vom Indi­vi­duum auf das Unter­nehmen übertragen. So kann man sich etwa fragen, wie resis­tent ein Team ist, also wie es gemeinsam auf Probleme und Verän­de­rungen im Außen reagiert.

Was kann ein Unternehmer tun, um eine gesunde Arbeitsatmosphäre zu schaffen?

Sehr viel. Führungskräfte spielen eine enorm wich­tige Rolle, weil sie das Arbeits­klima vorgeben und Vorbild sind. Pausen zum Beispiel sind an dieser Stelle eine ganz wich­tige Sache. Es ist ein völlig falsches Zeichen an alle, wenn gelobt wird, dass Mitar­beiter durch­ar­beiten. Es muss ein Klima entstehen, in dem Pausen­zeiten geschätzt werden. Auch Erfolge zu feiern ist bedeu­tend, um den Erfolg nicht als normal anzusehen.

„Diese Akzep­tanz, dass man Dinge auch falsch einschätzen kann, ist sehr wichtig, weil wir sonst an einer Fiktion festhalten.“

Wie komme ich zu einem realistischen Blick auf eine Situation?

Wir haben ja alle einen subjek­tiven Blick auf die Welt, der uns aber als die abso­lute Wahr­heit erscheint. Ein erster Schritt könnte also sein, sich klar­zu­ma­chen, dass man durch eine subjek­tive Brille auf die Welt schaut. Man könnte sich also mal ganz bewusst eine andere Brille aufsetzen und sich fragen „Ist das wirk­lich so? Sehe ich das realis­tisch?“ Es würde viel­leicht helfen, sich mal an eine Situa­tion in der Vergan­gen­heit zu erin­nern, in der man später erkannt hat, dass es doch ganz anders war und man sich selbst eine Geschichte einge­redet hat und erst später erkannt hat, dass es ja so gar nicht war.

Diese Akzep­tanz, dass man Dinge auch falsch einschätzen kann, ist sehr wichtig, weil wir sonst an einer Fiktion fest­halten. Solange ich das nicht tue, lebe ich in einer Phan­ta­sie­welt und kann nicht adäquat handeln und mir fallen auch keine Lösungen ein. Hilf­reich ist aber auch immer der Austausch mit Menschen, die einen gut kennen oder auch mit Experten, um sich ganz bewusst mal mit der Gegen­mei­nung auseinanderzusetzen.

Hilft es dann, schon vorher für Krisenzeiten zu trainieren und mit dem Team zu arbeiten?

Ja, man sollte in guten Zeiten vorsorgen. Auch das ist ein wich­tiger Faktor für Resi­lienz. Gerade wenn es mir schlecht geht, habe ich oft keine Kapa­zi­täten mehr, um Lösungen für ein Problem zu erar­beiten. Da hilft es, Notfall­pläne in der Tasche zu haben und sich vorher im Team schon überlegt zu haben, wie man in bestimmten Situa­tionen reagieren kann. Eingangs habe ich Resi­lienz ja als psychi­sches Immun­system bezeichnet. Für unser körper­li­ches Immun­system sollten wir auch nicht erst etwas tun, wenn es im Hals kratzt. Die Arbeit an der Resi­lienz ist ein konti­nu­ier­li­cher und lebens­langer Prozess. Das kann aber auch viel Freude machen, weil man sich dadurch selbst besser kennen­lernt und bewusster durchs Leben gehen kann.

„Wenn wir über Gesund­heit nach­denken, sollten wir nicht nur über die körper­li­chen Aspekte nach­denken, für die wir ja oft schon viel tun.“

Brauche ich auch eine gewisse körperliche Gesundheit, um die psychische Gesundheit zu erhalten?

Das Leben wird ja oft mit Krank­heiten schwerer und dadurch auch psychisch belas­tender. Wenn ich mir zum Beispiel ein Bein gebro­chen habe und in der dritten Etage wohne, dann macht das ja vieles kompli­zierter und anstren­gender. Körper­liche Erkran­kungen machen es immer schwie­riger und haben immer auch eine psychi­sche Ebene. Das ist eine wich­tige Botschaft: Wenn wir über Gesund­heit nach­denken, sollten wir nicht nur über die körper­li­chen Aspekte nach­denken, für die wir ja oft schon viel tun. Wir ernähren uns gesund, wir bewegen uns und achten auf ausrei­chend Schlaf. Das sind allgemeingültige Faktoren, die wir alle kennen.

Bei der Psyche aber glauben wir: Die muss einfach funk­tio­nieren. Tut sie das nicht, dann denken wir schnell, dass mit uns etwas nicht stimmt, wir verrückt sind und das auf gar keinen Fall jemandem erzählen dürfen. Die verrückte Erwar­tung an uns ist, immer leis­tungs­fähig und glücklich zu sein. Aber eigent­lich gehört beides zusammen und es gibt immer einen Bezug zwischen Körper und Geist. Man sollte beides also als Einheit betrachten und auch für die Psyche sorgen.

Veränderungen gestalten

René Träder ist Psycho­loge (M.Sc.) und Jour­na­list. Seit rund 20 Jahren steht er für verschie­dene Radio­sender hinter dem Mikrofon. Darüber hinaus ist er auf YouTube aktiv und mode­riert die Podcast­for­mate „7Mind- Podcast“ und „Ganz schön krank, Leute“ zu den Themen Acht­sam­keit und Gesund­heit. Als Psycho­loge begleitet René Träder Verän­de­rungs­pro­zesse von Einzel­per­sonen, Teams und Unter­nehmen im Rahmen von Coachings, Work­shops und Vorträgen. Seine zentralen Themen sind: Acht­sam­keit & Resi­lienz, Kommu­ni­ka­tion & Konflikte sowie Inno­va­tionen & Kreativität. 

Im Ullstein-Verlag ist sein Resi­li­en­z­buch „Das Leben so: Nein! Ich so: Doch!“ erschienen.

Mehr zu René Träder: www.renetraeder.de