Herr Träder, Sie haben ein Buch über Resilienz geschrieben. Was ist denn Resilienz?
Resilienz ist die psychische Widerstandkraft, das Immunsystem unserer Psyche. Das psychische Immunsystem wird angegriffen von Alltagsstress, von längerfristigen Krisen und von fundamentalen Schicksalsschlägen. Aber es gibt auch Schutzfaktoren, und die Resilienz ist eben die Kraft, damit umzugehen. Wir können sie erlernen und gestärkt durch das Leben gehen.
Ist sie jedem mitgegeben?
Viele Menschen verwechseln das. Sie fragen: Habe ich Resilienz, oder habe ich keine? Aber man fragt ja auch nicht: „Habe ich eine Körpergröße oder nicht?“, Wir können uns das eher als eine Dimension vorstellen und lieber fragen: „Wie viel Resilienz habe ich schon und in welchen Bereichen könnte ich meine psychische Widerstandskraft noch stärken?“ Man kann also schauen: Wie viel Resilienz habe ich denn? Vielleicht ist meine Resilienz im privaten Kontext ganz anders als im beruflichen Kontext, was zum Beispiel daran liegt, welche Erfahrungen ich bisher gemacht habe und in welcher Situation ich bin. Ist mein Netzwerk stark, habe ich Menschen, die mich stützen?
„Es lohnt sich, eine Art Krisenkompetenz zu entwickeln, denn dann verfällt man bei der nächsten Krise nicht in Panik.“
Es lohnt sich, die eigene Resilienz besser zu verstehen und eine Art Krisenkompetenz zu entwickeln, denn dann verfällt man bei der nächsten Krise nicht in Panik, sondern weiß, dass man es schon mal hinbekommen hat. Um aber noch auf Ihre eigentliche Frage zu antworten: Es gibt drei Quellen von Resilienz. Einerseits unsere genetische Grundausstattung, dann das Umfeld, in dem wir leben, was insbesondere für unsere frühkindlichen Erfahrungen gilt, und schließlich die bewusste Auseinander mit uns und unseren Herausforderungen als Erwachsene. Den meisten Einfluss haben wir natürlich auf den letzten Aspekt. Wir sollten diesen Einfluss nutzen und dem Schicksal nicht die vollen 100 Prozent überlassen. Es ist ja schließlich UNSER Leben.
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Wie finde ich heraus, wie resilient ich bin?
Das ist nicht ganz einfach zu sagen, da es viele unterschiedliche Dinge gibt, die uns belasten. Wenn ich meinen Job verliere, hat das eine ganz andere Qualität, als wenn ich im Stau stehe und einen wichtigen Termin habe. Aber man kann sich beobachten, wie schnell man sich selbst negative Geschichten erzählt und in Panik verfällt und sich ärgert. Das sind erste Warnsignale. Wer schon bei Kleinigkeiten panisch ist, wird auch bei einer größeren Krise erst einmal hilflos sein. Man kann dann ganz gut sehen, wie lange man in der Passivität verharrt, bevor man ins Handeln kommt. Was resiliente Menschen auszeichnet, ist, dass sie eben nicht so lange hadern, sondern relativ schnell aktiv werden, um etwas zu verändern.
Wie komme ich aus der Opferrolle heraus und ins Handeln?
Die Opferhaltung ist das, was für Superman das Kryptonit ist. Es schwächt ihn ungemein. Alles, was er drauf hat, kann er in dieser Situation nicht abrufen. Übertragen auf uns bedeutet das, dass die anderen jetzt mal handeln müssten, damit unser Weltbild wieder in Ordnung ist. Dadurch sehen wir aber nicht den Raum der Möglichkeiten und auch nicht unsere Kraft, sondern nehmen uns als sehr schwach wahr. Das ist für einen Moment auch mal in Ordnung, aber dann sollte man sich fragen, was der eigene Anteil an der Situation ist. Der erste Schritt ist immer, Verantwortung zu übernehmen: Es ist mein Leben, ich entscheide. Man wird überrascht sein, welche Möglichkeiten sich auftun, wenn man neu auf die Situation schaut und anfängt, in Lösungen, statt in Problemen zu denken.
„Wir brauchen vertrauensvolle, stärkende Netzwerke – auch im Beruf. Und das möglichst hierarchiefrei.“
Wie kann man denn im beruflichen Alltag, gerade in kleinen festen Teams, aus negativem Verhalten ausbrechen?
Das Zauberwort ist Kommunikation. Die braucht es immer, nicht nur, wenn Fehler aufgetreten sind. In dieser Kommunikation muss ein Beziehungsaufbau untereinander möglich sein. Wir brauchen vertrauensvolle, stärkende Netzwerke – auch im Beruf. Und das möglichst hierarchiefrei. Es hat nicht der mehr Recht, der besonders lange im Betrieb ist. Das Resilienz-Konzept lässt sich übrigens auch vom Individuum auf das Unternehmen übertragen. So kann man sich etwa fragen, wie resistent ein Team ist, also wie es gemeinsam auf Probleme und Veränderungen im Außen reagiert.
Was kann ein Unternehmer tun, um eine gesunde Arbeitsatmosphäre zu schaffen?
Sehr viel. Führungskräfte spielen eine enorm wichtige Rolle, weil sie das Arbeitsklima vorgeben und Vorbild sind. Pausen zum Beispiel sind an dieser Stelle eine ganz wichtige Sache. Es ist ein völlig falsches Zeichen an alle, wenn gelobt wird, dass Mitarbeiter durcharbeiten. Es muss ein Klima entstehen, in dem Pausenzeiten geschätzt werden. Auch Erfolge zu feiern ist bedeutend, um den Erfolg nicht als normal anzusehen.
„Diese Akzeptanz, dass man Dinge auch falsch einschätzen kann, ist sehr wichtig, weil wir sonst an einer Fiktion festhalten.“
Wie komme ich zu einem realistischen Blick auf eine Situation?
Wir haben ja alle einen subjektiven Blick auf die Welt, der uns aber als die absolute Wahrheit erscheint. Ein erster Schritt könnte also sein, sich klarzumachen, dass man durch eine subjektive Brille auf die Welt schaut. Man könnte sich also mal ganz bewusst eine andere Brille aufsetzen und sich fragen „Ist das wirklich so? Sehe ich das realistisch?“ Es würde vielleicht helfen, sich mal an eine Situation in der Vergangenheit zu erinnern, in der man später erkannt hat, dass es doch ganz anders war und man sich selbst eine Geschichte eingeredet hat und erst später erkannt hat, dass es ja so gar nicht war.
Diese Akzeptanz, dass man Dinge auch falsch einschätzen kann, ist sehr wichtig, weil wir sonst an einer Fiktion festhalten. Solange ich das nicht tue, lebe ich in einer Phantasiewelt und kann nicht adäquat handeln und mir fallen auch keine Lösungen ein. Hilfreich ist aber auch immer der Austausch mit Menschen, die einen gut kennen oder auch mit Experten, um sich ganz bewusst mal mit der Gegenmeinung auseinanderzusetzen.
Hilft es dann, schon vorher für Krisenzeiten zu trainieren und mit dem Team zu arbeiten?
Ja, man sollte in guten Zeiten vorsorgen. Auch das ist ein wichtiger Faktor für Resilienz. Gerade wenn es mir schlecht geht, habe ich oft keine Kapazitäten mehr, um Lösungen für ein Problem zu erarbeiten. Da hilft es, Notfallpläne in der Tasche zu haben und sich vorher im Team schon überlegt zu haben, wie man in bestimmten Situationen reagieren kann. Eingangs habe ich Resilienz ja als psychisches Immunsystem bezeichnet. Für unser körperliches Immunsystem sollten wir auch nicht erst etwas tun, wenn es im Hals kratzt. Die Arbeit an der Resilienz ist ein kontinuierlicher und lebenslanger Prozess. Das kann aber auch viel Freude machen, weil man sich dadurch selbst besser kennenlernt und bewusster durchs Leben gehen kann.
„Wenn wir über Gesundheit nachdenken, sollten wir nicht nur über die körperlichen Aspekte nachdenken, für die wir ja oft schon viel tun.“
Brauche ich auch eine gewisse körperliche Gesundheit, um die psychische Gesundheit zu erhalten?
Das Leben wird ja oft mit Krankheiten schwerer und dadurch auch psychisch belastender. Wenn ich mir zum Beispiel ein Bein gebrochen habe und in der dritten Etage wohne, dann macht das ja vieles komplizierter und anstrengender. Körperliche Erkrankungen machen es immer schwieriger und haben immer auch eine psychische Ebene. Das ist eine wichtige Botschaft: Wenn wir über Gesundheit nachdenken, sollten wir nicht nur über die körperlichen Aspekte nachdenken, für die wir ja oft schon viel tun. Wir ernähren uns gesund, wir bewegen uns und achten auf ausreichend Schlaf. Das sind allgemeingültige Faktoren, die wir alle kennen.
Bei der Psyche aber glauben wir: Die muss einfach funktionieren. Tut sie das nicht, dann denken wir schnell, dass mit uns etwas nicht stimmt, wir verrückt sind und das auf gar keinen Fall jemandem erzählen dürfen. Die verrückte Erwartung an uns ist, immer leistungsfähig und glücklich zu sein. Aber eigentlich gehört beides zusammen und es gibt immer einen Bezug zwischen Körper und Geist. Man sollte beides also als Einheit betrachten und auch für die Psyche sorgen.
Veränderungen gestalten
René Träder ist Psychologe (M.Sc.) und Journalist. Seit rund 20 Jahren steht er für verschiedene Radiosender hinter dem Mikrofon. Darüber hinaus ist er auf YouTube aktiv und moderiert die Podcastformate „7Mind- Podcast“ und „Ganz schön krank, Leute“ zu den Themen Achtsamkeit und Gesundheit. Als Psychologe begleitet René Träder Veränderungsprozesse von Einzelpersonen, Teams und Unternehmen im Rahmen von Coachings, Workshops und Vorträgen. Seine zentralen Themen sind: Achtsamkeit & Resilienz, Kommunikation & Konflikte sowie Innovationen & Kreativität.
Im Ullstein-Verlag ist sein Resilienzbuch „Das Leben so: Nein! Ich so: Doch!“ erschienen.
Mehr zu René Träder: www.renetraeder.de