„Wir haben ein Führungsproblem“

Jan Voges hat sich 2005 als „One-Man-Show" selbständig gemacht. Mit kleinem Startkapital und einem alten VW-Bus ging er auf Kundenfang. Heute hat er 19 Mitarbeiter und führt ein erfolgreiches Unternehmen. Was ist das Geheimnis seines Erfolges?


Herr Voges, wie war es, als Sie Ihren ersten Mitarbeiter eingestellt haben? War das ein großer Schritt?

Meine Situa­tion war da etwas speziell, sodass es kein ganz so großer Schritt war. Ich habe zunächst allein ange­fangen und dann nach recht kurzer Zeit meinen Bruder als Helfer ange­stellt. Der Job blieb sozu­sagen in der Familie. Die Konstel­la­tion war aber sehr günstig: Mein Bruder wurde später auch mein erster Azubi und ist heute Architekt.

Und wie ging es weiter?

Bis unge­fähr 2011 war es über­haupt kein Problem, Personal zu finden. Es haben sich unheim­lich viele Bewerber aus anderen Betrieben bei mir gemeldet. Damals haben wir die ganze Region hier ziem­lich auf den Kopf gestellt. 

Dachdecker Jan Voges Creaton Influencer Award 2020 Dach+Holz International Stuttgart

Jan Voges und sein Team sind als Dach­de­cker auch auf Social Media erfolg­reich. Dafür gab es 2020 auf der Dach+Holz Inter­na­tional in Stutt­gart den Creaton Influencer Award in Bronze.

Warum wollten viele Menschen bei Ihnen arbeiten?

Das ist ganz einfach: Die Leute wollen immer dorthin, wo was vorwärts geht. Still­stand mag niemand. Ein Beispiel: Im Jahr 2009 hatte ich drei Mitar­beiter, aber schon mal einen Kran gekauft. So etwas fällt auf, denn das gab es so in dieser Gegend nicht, brachte aber sehr viele Vorteile im Arbeits­alltag. Mit gutem und unge­wöhn­li­chem Equip­ment konnte man Mitar­beiter gewinnen.

„Die Leute wollen immer dorthin, wo was vorwärts geht. Still­stand mag niemand.“

Wie waren Sie damals organisiert?

Schlecht, bezie­hungs­weise der Zeit entspre­chend. Wir waren ziem­lich hier­ar­chisch aufge­stellt. Das hat eine Zeit­lang auch gut funk­tio­niert, aber wir hatten dahinter kein System. Und das bedeu­tete für mich, dass ich immer weiter in ein Hams­terrad gelangte und immer mehr Aufgaben selbst über­nahm. Irgend­wann verselb­stän­digten sich die Struk­turen bis nichts mehr funk­tio­nierte. Wir wurden beklaut, in den Teams herrschte schlechte Stim­mung und die Probleme nahmen zu.

Nur wenn die Chemie zwischen den Dachdeckern stimmt, arbeiten die Teams erfolgreich - ganz ohne Führungsproblem.

Nur wenn die Chemie zwischen den Dach­de­ckern stimmt, arbeiten die Teams erfolg­reich und ohne Führungs­pro­blem zusammen.

Und dann?

Dann half nur ein klarer Schnitt. Wir haben fast alle Mitar­beiter entlassen und ein anderer Teil hat gekün­digt, dann habe ich mit zwei Azubis und dem Büro­team neu ange­fangen. Und was die Mitar­bei­ter­füh­rung anging, musste ich mich komplett neu aufstellen und viel lernen. Man braucht meiner Erfah­rung nach in so einer verfah­renen Situa­tion einen radi­kalen Schnitt, um den Team­aufbau aktiv gestalten zu können. Das soll aber keine Empfeh­lung zum Nach­ma­chen sein! Das waren harte Zeiten.

„Wir haben kein Fach­kräf­te­pro­blem, wir haben ein Führungsproblem“

Was machen Sie heute anders?

Es ist eine Frage der Team­zu­sam­men­set­zung, denn die Leis­tungs­fä­hig­keit eines Teams hängt maßgeb­lich davon ab, wer mit wem arbeitet. Meine Meinung zur aktu­ellen Situa­tion in vielen Betrieben ist, dass wir kein Fach­kräf­te­pro­blem, sondern einen Führungs­pro­blem haben. Deshalb achte ich sehr genau darauf, wen ich in einem Team zur Führungs­kraft mache. Es wäre einfach, den guten und schnellen Gesellen zur Führung zu bestimmen. Doch man läuft Gefahr, dass er dann 100% gibt und der Rest des Teams nur so viel wie nötig. Das erzeugt Frust und Stress im Team. Viel sinn­voller, auch aus betriebs­wirt­schaft­li­cher Sicht, ist es, denje­nigen zur Führungs­kraft zu machen, der den Rest des Teams zu möglichst guter Leis­tung moti­viert. Denn dann ist die Gesamt­leis­tung wesent­lich höher.

Im Team von Jan Voges gibt es kein Führungsproblem - alle sind hochmotiviert.

Im Team von Jan Voges gibt es kein Führungs­pro­blem — alle sind hochmotiviert.

Umge­kehrt ausge­drückt heißt dies: Wenn, die Führungs­kraft, also der teuerste Mitar­beiter, das Team so führt, dass die Mitar­beiter unmo­ti­viert sind und somit nur rund 30% ihrer Leis­tungs­fä­hig­keit abrufen, dann richtet der teuerste einen immensen Schaden im Unter­nehmen an.

„Man muss denje­nigen zur Führungs­kraft machen, der den Rest des Teams zu möglichst guter Leis­tung motiviert.“ 

Haben Sie Änderungen abseits der Teamzusammensetzung vorgenommen?

Ja, wir achten mehr denn je auf eine gute Gemein­schaft. Es gibt nach wie vor eine einheit­liche Arbeits­klei­dung und wir tun viel, damit unsere Mitar­beiter gute Arbeits­be­din­gungen haben. Außerdem gestalten wir möglichst opti­male Arbeits­pro­zesse und setzen auf eine klare Aufga­ben­tei­lung. Wer weiß, was er zu tun hat, ist zufriedener.

„Wir gestalten möglichst opti­male Arbeits­pro­zesse und setzen auf eine klare Aufga­ben­tei­lung. Wer weiß, was er zu tun hat, ist zufriedener.“

Und wie verändert sich der Umgang mit neuen, jungen Mitarbeitern?

Das ist eine beson­dere Situa­tion, denn im Umgang gibt es ein Gene­ra­tio­nen­pro­blem. Die heutigen Führungs­kräfte sind oft noch aus der Gene­ra­tion X, aber nun drängen die Millen­nials in den Arbeits­markt. Sie haben eine völlig andere Einstel­lung zur Arbeit, ihnen geht es nicht nur um Geld, sondern um Sinn und sie kennen keine Hier­ar­chien. Und dann haben wir ein Sender-Empfänger-Problem. Die beiden Gene­ra­tionen verstehen sich einfach nicht, weil sie völlig unter­schied­liche Werte­sys­teme vertreten. Das bedeutet für mich als Unter­nehmer: Ich muss dafür sorgen, dass beiden Gene­ra­tionen eine gemein­same Sprache finden und sich für die Lebens­welten des jeweils anderen interessieren.