Ein junger Mann, ein Auto und die Lust an der Selbständigkeit. So fängt die Geschichte der Dachdeckerei Jan Witt an. Genauer und in der Filmsprache gesagt, ist es kein Pilotfilm, sondern eine Fortsetzung. Denn es gab schon einmal einen Dachdeckerbetrieb Witt. Den musste Jans Vater, der ihn von dem Großvater übernommen hatte, aber aus gesundheitlichen Gründen Anfang 2000 schließen.
„Ich bin in eine Dachdeckerfamilie hineingeboren“, erzählt Jan Witt, „doch eigentlich hatte ich einmal andere berufliche Pläne. Ich wollte gern Lehrer werden. Heute weiß ich, dass ich in meinem Beruf den Jugendlichen sehr viel mehr mitgeben kann. Aber vielleicht ist das der Grund, warum ich automatisch vieles im Umgang mit jungen Menschen richtig mache.“ Zumindest ist es wohl ein Grund dafür, dass der Dachdeckermeister in jedem Ausbildungsjahr vier Lehrlinge aufnimmt und im Normalfall auch nach der Ausbildung weiterbeschäftigt. Probleme mit dem Dachdeckernachwuchs kennt er also nicht, auch hat das Unternehmen keine starke Mitarbeiterfluktuation zu beklagen. Doch warum hält sein Team ihm die Treue?
„Wer keinen Sinn in seiner Arbeit sieht, leistet auch keine gute Arbeit.”
Klare Aufgaben und Erfolge feiern
„In unserem Betrieb herrscht eine ganz klare Aufgabenverteilung. Nur wenn jeder genau weiß, was er tun muss, und auch seinen eigenen Verantwortungsbereich übernimmt, kann er seine Arbeit als erfüllend und sinnstiftend erleben. Wer keinen Sinn in seiner Tätigkeit sieht, leistet keine gute Arbeit. Wofür auch?“, bringt der Unternehmer seine Grundidee auf den Punkt. Dieser Ansatz ist die Basis für eine vielschichtige Unternehmenskultur, die darauf setzt, jedem eine Chance zu geben. Jan Witt bildet gezielt Jugendliche aus, die schon ein „Päckchen“ mitbringen. Schwierige Lebenssituation, problematische Schullaufbahn, vergeigter Abschluss – all das hindert ihn nicht, den Jugendlichen den Start in ein erfolgreiches Erwerbsleben zu ermöglichen.
Natürlich läuft auch so nicht immer alles ganz glatt. „Klar, die jungen Mitarbeiter probieren auch mal aus, was passiert, wenn man über die Stränge schlägt. Aber dann gibt es eine klare Ansage und auch mal Konsequenzen, und es geht wieder weiter. Damit fahre ich ganz gut.“ Im Extremfall konnte die Konsequenz auch schon einmal bedeuten, den Ausbildungsvertrag vor den Augen des Jugendlichen zu zerfetzen. Der Schock saß tief, der Azubi kam zurück und entschuldigte sich — „und dann ging es für den Dachdeckernachwuchs weiter Richtung Abschlussprüfung“, grinst Jan Witt.
Doch ganz allein ist das meist nicht zu bewerkstelligen. Um die Ausbildung erfolgreich zu gestalten, nimmt Jan Witt, soweit möglich, die Eltern mit ins Boot. „Wir brauchen die Eltern als Rückendeckung.“ Wo dies nicht möglich ist, fängt der Unternehmer mit seinen erfahrenen Kräften auf, was möglich ist. Und übt sich in positiver Verstärkung: „Die Jungs spornt es an, Erfolge zu feiern. Gerade die Auszubildenden aus schwierigen familiären Verhältnissen haben viel zu wenig positive Verstärkung und Lob erlebt, und denen tut es besonders gut“, berichtet Jan Witt.
Teams achtsam zusammenstellen
Vielleicht weiß Jan Witt deshalb so gut, was junge Menschen brauchen, weil er selbst schon mit 17 Jahren von zu Hause ausgezogen ist, um eine Ausbildung zu beginnen. Er hatte viel Glück, erhielt eine gute Ausbildung und konnte seinen Weg ziemlich erfolgreich gestalten: Mit einem Stipendium machte er früh seinen Meister, seine Teilnahme an Landes- und Bundesmeisterschaften sicherte ihm Plätze ganz oben auf dem Treppchen. Mit Anfang zwanzig hatte er den Meistertitel in der Tasche und arbeitete als angestellter Meister in einem Dachdeckerbetrieb. Doch das konnte nicht das Ende der Fahnenstange für ihn sein. So ging er in die Selbständigkeit und gibt jetzt vielen jungen Menschen eine sinnvolle Perspektive.
Wir übernehmen alle Azubis, sodass für unseren Nachwuchs immer gesorgt ist.
Um ein erfolgreiches Unternehmen und stabile Teams zu haben, reicht es nicht, einfach wahllos Mitarbeiter zusammenzuwürfeln. Deshalb macht er sich auch darüber Gedanken. Sicherlich ist die Altersstruktur seiner Belegschaft ein Geheimnis der guten Gemeinschaft. „Bei uns ist ca. die Hälfte der Mitarbeiter unter 30 und ein Drittel zwischen 30 und 45. Die kleinste Gruppe mit ca. 20 Prozent liegt darüber“, erklärt der Unternehmer.
Quereinsteiger willkommen
„Diese Zusammensetzung ergibt sich automatisch. Wir übernehmen alle Azubis, sodass für unseren Dachdeckernachwuchs immer gesorgt ist. Die Abgänge von Mitarbeitern ergeben sich eher aus Umzügen oder Ähnlichem. So bleibt das Verhältnis immer annähernd stabil“, erklärt Witt.
Diese Zusammensetzung ist ein großer Vorteil für die jungen Dachdecker: „Wir mischen die Kolonnen so, dass immer junge mit älteren Mitarbeitern zusammenarbeiten. Das ist vor allem für Jungs aus schwierigen Verhältnissen sehr positiv, da sie so eine ‚Vaterfigur‘ an ihrer Seite haben, die ihnen im Privatleben oft fehlt“, präzisiert Witt.
„Jeder bringt etwas von seinem Wissen mit ein. Das ist enorm wertvoll“
Wo nötig, gibt er auch Unterstützung im Privaten. „Wir haben vor Jahren eine Dachdecker-WG für die jungen Mitarbeiter gegründet. So können sie sich gegenseitig Halt geben, und wir haben ein Auge auf die Jungs. Das kostet Kraft, aber es funktioniert“, führt der Unternehmer aus. Dass er Quereinsteigern vom Yogalehrer bis zum Bäcker in seinem Betrieb eine Umschulung ermöglicht, wundert an dieser Stelle wohl niemanden mehr. „Jeder bringt etwas von seinem Wissen mit ein. Das ist enorm wertvoll“, überwiegen für Witt auch hier die positiven Aspekte.
Wertschätzung zeigen
Die Mission zeigt nicht nur intern Erfolg, sondern findet auch landesweit Beachtung. So gewann das Unternehmen 2017 den VR-Förderpreis, den die Volks- und Raiffeisenbanken gemeinsam mit den Handwerkskammern vergeben. Und was machte der Dachdeckermeister? Nahm das recht üppige Preisgeld und investierte es in Annehmlichkeiten für seine Mitarbeiter. Besser kann Wertschätzung wohl kaum ausgedrückt werden.
Was ein bisschen nach „heiler Welt“ klingt, unterliegt durchaus strikten hierarchischen Strukturen. „Wir sind hier klar aufgestellt. Neben mir als Geschäftsführung stehen die Meister. Unsere Vorarbeiter sind dann unser verlängerter Arm auf der Baustelle, sie leiten die Gesellen, Helfer und Azubis an“, erklärt Witt. Dem gegenüber steht ausgleichend eine Kultur, die jeder Idee eines Mitarbeiters Gehör schenkt und keinen Gedanken abwürgt.
Auch so kann das Unternehmen sich immer weiter entwickeln und neue Ziele ins Visier nehmen. Denn: „Der Mensch wäre ohne Ziele tot. Das Ziel hießt nicht zwingend Wachstum, sondern kann auch Veränderung sein.“ Die neuen Ziele werden ihm jedenfalls nicht ausgehen, denn: „Dächer decken wir übrigens auch noch!
5 Fragen an Dachdeckermeister Jan Witt
Mehr zum Dachdeckerbetrieb von Jan Witt
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