Prima Klima für den Dachdeckernachwuchs

Jan Witt hat innerhalb von zehn Jahren einen Dachdeckerbetrieb mit 90 Mitarbeitern aufgebaut. Das Geheimnis seines Erfolgs: eine ganz besondere Unternehmens­philosophie.

Jan Witt ist die Seele des Unter­neh­mens. Sein Motto: Jeder verdient eine zweite Chance.

Ein junger Mann, ein Auto und die Lust an der Selb­stän­dig­keit. So fängt die Geschichte der Dach­de­ckerei Jan Witt an. Genauer und in der Film­sprache gesagt, ist es kein Pilot­film, sondern eine Fort­set­zung. Denn es gab schon einmal einen Dach­de­cker­be­trieb Witt. Den musste Jans Vater, der ihn von dem Groß­vater über­nommen hatte, aber aus gesund­heit­li­chen Gründen Anfang 2000 schließen.

„Ich bin in eine Dach­de­cker­fa­milie hinein­ge­boren“, erzählt Jan Witt, „doch eigent­lich hatte ich einmal andere beruf­liche Pläne. Ich wollte gern Lehrer werden. Heute weiß ich, dass ich in meinem Beruf den Jugend­li­chen sehr viel mehr mitgeben kann. Aber viel­leicht ist das der Grund, warum ich auto­ma­tisch vieles im Umgang mit jungen Menschen richtig mache.“ Zumin­dest ist es wohl ein Grund dafür, dass der Dach­de­cker­meister in jedem Ausbil­dungs­jahr vier Lehr­linge aufnimmt und im Normal­fall auch nach der Ausbil­dung weiter­be­schäf­tigt. Probleme mit dem Dach­de­cker­nach­wuchs kennt er also nicht, auch hat das Unter­nehmen keine starke Mitar­bei­ter­fluk­tua­tion zu beklagen. Doch warum hält sein Team ihm die Treue?

„Wer keinen Sinn in seiner Arbeit sieht, leistet auch keine gute Arbeit.”

Klare Aufgaben und Erfolge feiern

„In unserem Betrieb herrscht eine ganz klare Aufga­ben­ver­tei­lung. Nur wenn jeder genau weiß, was er tun muss, und auch seinen eigenen Verant­wor­tungs­be­reich über­nimmt, kann er seine Arbeit als erfül­lend und sinn­stif­tend erleben. Wer keinen Sinn in seiner Tätig­keit sieht, leistet keine gute Arbeit. Wofür auch?“, bringt der Unter­nehmer seine Grund­idee auf den Punkt. Dieser Ansatz ist die Basis für eine viel­schich­tige Unter­neh­mens­kultur, die darauf setzt, jedem eine Chance zu geben. Jan Witt bildet gezielt Jugend­liche aus, die schon ein „Päck­chen“ mitbringen. Schwie­rige Lebens­si­tua­tion, proble­ma­ti­sche Schul­lauf­bahn, vergeigter Abschluss – all das hindert ihn nicht, den Jugend­li­chen den Start in ein erfolg­rei­ches Erwerbs­leben zu ermöglichen.

Natür­lich läuft auch so nicht immer alles ganz glatt. „Klar, die jungen Mitar­beiter probieren auch mal aus, was passiert, wenn man über die Stränge schlägt. Aber dann gibt es eine klare Ansage und auch mal Konse­quenzen, und es geht wieder weiter. Damit fahre ich ganz gut.“ Im Extrem­fall konnte die Konse­quenz auch schon einmal bedeuten, den Ausbil­dungs­ver­trag vor den Augen des Jugend­li­chen zu zerfetzen. Der Schock saß tief, der Azubi kam zurück und entschul­digte sich — „und dann ging es für den Dach­de­cker­nach­wuchs weiter Rich­tung Abschluss­prü­fung“, grinst Jan Witt.

Doch ganz allein ist das meist nicht zu bewerk­stel­ligen. Um die Ausbil­dung erfolg­reich zu gestalten, nimmt Jan Witt, soweit möglich, die Eltern mit ins Boot. „Wir brau­chen die Eltern als Rücken­de­ckung.“ Wo dies nicht möglich ist, fängt der Unter­nehmer mit seinen erfah­renen Kräften auf, was möglich ist. Und übt sich in posi­tiver Verstär­kung: „Die Jungs spornt es an, Erfolge zu feiern. Gerade die Auszu­bil­denden aus schwie­rigen fami­liären Verhält­nissen haben viel zu wenig posi­tive Verstär­kung und Lob erlebt, und denen tut es beson­ders gut“, berichtet Jan Witt.

Im Betrieb von Jan Witt packen alle gemeinsam an — ob Meister, Geselle oder der frische Dachdeckernachwuchs.

Teams achtsam zusammenstellen

Viel­leicht weiß Jan Witt deshalb so gut, was junge Menschen brau­chen, weil er selbst schon mit 17 Jahren von zu Hause ausge­zogen ist, um eine Ausbil­dung zu beginnen. Er hatte viel Glück, erhielt eine gute Ausbil­dung und konnte seinen Weg ziem­lich erfolg­reich gestalten: Mit einem Stipen­dium machte er früh seinen Meister, seine Teil­nahme an Landes- und Bundes­meis­ter­schaften sicherte ihm Plätze ganz oben auf dem Trepp­chen. Mit Anfang zwanzig hatte er den Meis­ter­titel in der Tasche und arbei­tete als ange­stellter Meister in einem Dach­de­cker­be­trieb. Doch das konnte nicht das Ende der Fahnen­stange für ihn sein. So ging er in die Selb­stän­dig­keit und gibt jetzt vielen jungen Menschen eine sinn­volle Perspektive.

Wir über­nehmen alle Azubis, sodass für unseren Nach­wuchs immer gesorgt ist. 

Um ein erfolg­rei­ches Unter­nehmen und stabile Teams zu haben, reicht es nicht, einfach wahllos Mitar­beiter zusam­men­zu­wür­feln. Deshalb macht er sich auch darüber Gedanken. Sicher­lich ist die Alters­struktur seiner Beleg­schaft ein Geheimnis der guten Gemein­schaft. „Bei uns ist ca. die Hälfte der Mitar­beiter unter 30 und ein Drittel zwischen 30 und 45. Die kleinste Gruppe mit ca. 20 Prozent liegt darüber“, erklärt der Unternehmer.

Quereinsteiger willkommen

„Diese Zusam­men­set­zung ergibt sich auto­ma­tisch. Wir über­nehmen alle Azubis, sodass für unseren Dach­de­cker­nach­wuchs immer gesorgt ist. Die Abgänge von Mitar­bei­tern ergeben sich eher aus Umzügen oder Ähnli­chem. So bleibt das Verhältnis immer annä­hernd stabil“, erklärt Witt.

Neuer Dachdeckernachwuchs steht in den Startlöchern

Neuer Dach­de­cker­nach­wuchs steht bereits in den Start­lö­chern: Jan Witt hat nicht nur seinem Sohn, sondern allen Mitar­bei­ter­kin­dern „Dienst­klei­dung“ spendiert.

Diese Zusam­men­set­zung ist ein großer Vorteil für die jungen Dach­de­cker: „Wir mischen die Kolonnen so, dass immer junge mit älteren Mitar­bei­tern zusam­men­ar­beiten. Das ist vor allem für Jungs aus schwie­rigen Verhält­nissen sehr positiv, da sie so eine ‚Vater­figur‘ an ihrer Seite haben, die ihnen im Privat­leben oft fehlt“, präzi­siert Witt.

„Jeder bringt etwas von seinem Wissen mit ein. Das ist enorm wertvoll“

Wo nötig, gibt er auch Unter­stüt­zung im Privaten. „Wir haben vor Jahren eine Dach­de­cker-WG für die jungen Mitar­beiter gegründet. So können sie sich gegen­seitig Halt geben, und wir haben ein Auge auf die Jungs. Das kostet Kraft, aber es funk­tio­niert“, führt der Unter­nehmer aus. Dass er Quer­ein­stei­gern vom Yoga­lehrer bis zum Bäcker in seinem Betrieb eine Umschu­lung ermög­licht, wundert an dieser Stelle wohl niemanden mehr. „Jeder bringt etwas von seinem Wissen mit ein. Das ist enorm wert­voll“, über­wiegen für Witt auch hier die posi­tiven Aspekte.

Wertschätzung zeigen

Die Mission zeigt nicht nur intern Erfolg, sondern findet auch landes­weit Beach­tung. So gewann das Unter­nehmen 2017 den VR-Förder­preis, den die Volks- und Raiff­ei­sen­banken gemeinsam mit den Hand­werks­kam­mern vergeben. Und was machte der Dach­de­cker­meister? Nahm das recht üppige Preis­geld und inves­tierte es in Annehm­lich­keiten für seine Mitar­beiter. Besser kann Wert­schät­zung wohl kaum ausge­drückt werden.

Was ein biss­chen nach „heiler Welt“ klingt, unter­liegt durchaus strikten hier­ar­chi­schen Struk­turen. „Wir sind hier klar aufge­stellt. Neben mir als Geschäfts­füh­rung stehen die Meister. Unsere Vorar­beiter sind dann unser verlän­gerter Arm auf der Baustelle, sie leiten die Gesellen, Helfer und Azubis an“, erklärt Witt. Dem gegen­über steht ausglei­chend eine Kultur, die jeder Idee eines Mitar­bei­ters Gehör schenkt und keinen Gedanken abwürgt.

 Für Dachdeckernachwuchs ist gesorgt - der Betrieb entwickelt sich laufend weiter.

Der Betrieb entwi­ckelt sich laufend weiter. Für Dach­de­cker­nach­wuchs ist gesorgt und der nächste Meilen­stein wartet schon.

Auch so kann das Unter­nehmen sich immer weiter entwi­ckeln und neue Ziele ins Visier nehmen. Denn: „Der Mensch wäre ohne Ziele tot. Das Ziel hießt nicht zwin­gend Wachstum, sondern kann auch Verän­de­rung sein.“ Die neuen Ziele werden ihm jeden­falls nicht ausgehen, denn: „Dächer decken wir übri­gens auch noch!


5 Fragen an Dachdeckermeister Jan Witt